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Kranichsteiner Literaturpreis 2015 an Esther Kinsky

Der vom Deutschen Literaturfonds vergebene Kranichsteiner Literaturpreis ging 2015 an Esther Kinsky.

Die 1956 in Engelskirchen geborene Schriftstellerin und Übersetzerin lebt heute in Berlin. Sie erhält den Preis in Anerkennung ihres bisherigen Werks unter besonderer Berücksichtigung des Romans Am Fluss.

Begründung der Jury

Am Fluss ist ein Roman von packender Intensität. Mit behutsamer Präzision nimmt Esther Kinsky armselige Geschäfte, schäbige Reihenhäuser, Stadtbrachen und sumpfige Treidelpfade in den Blick, entwirft die Topographie eines Londoner Vororts und stößt auf Spuren der eigenen Vergangenheit. Durch ihre bildhafte Sprache gewinnt sie den Randbezirken der Wirklichkeit, die zu Abbildern eines seelischen Zustandes werden, poetische Facetten ab. Ihre mäandrierenden Erkundungen folgen den Ausläufern des River Lea und spülen Geschichten von seltsamer Schönheit an die Oberfläche.

Begründung der Jury, der Maike Albath, Maria Gazetti und Wilfried F. Schoeller angehören

Laudatio auf Esther Kinsky von Susanne Mayer

Esther Kinskys Kunst oder: kleine fanfare der abgelaufenen zeit

Sehr geehrter Professor Gunther Nickel, liebe Jury, also liebe Maike Albath und Maria Gazetti, lieber Herr Professor Schoeller, vor allem aber natürlich verehrte Esther Kinsky – es hat mich ausserordentlich froh gemacht zu hören, dass Esther Kinskys Roman Am Fluss mit dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet wird: Was für eine glückliche Wahl!

Die Lektüre des Romans Am Fluss ist ein ungewöhnliches, aufregendes, ja aufwühlendes, vielleicht sogar verstörendes Ereignis. Man liest wenige Sätze – und wird, so erging es mir, erfasst von diesen Sätzen, von den Bildern, die oft wie Traumgesichte wirken, von Szenen, die vorbeistrudeln. Anders als in Romanen, die einen mit einer Handlung einfangen, gerät man hier in einem Sog der Worte, die einen mit sich tragen, wohin, das wird zu sehen sein. Es ist, möchte man sagen, listig gemacht, für einen Roman, der Am Fluss heißt, es ist ja das Wesensmerkmal von Flüssen, dass sie wogen und Strudel bilden und hinweg reissen. Wer sollte das besser wissen als Esther Kinsky und, nun, ja auch ich, denn wir sind beide Kinder des Rheins, sie rechtsrheinisch aufgewachsen, ich linksrheinisch, die Kindheiten verliefen fast visavis, wovon wir damals natürlich nichts ahnten. Es wäre vielleicht ein eigenes Unterfangen zu untersuchen, wie es eine Kinderseele prägt, wenn die Augen sehr viel auf einen breit dahinstrudelnden Fluss schauen, und etwas zu sehen bekommen, das damals also einfach hindurchwogte durch diese Adenauerwelt von Köln-Bonn, unaufhaltsam weiterdrängte und sich nicht einfach aufhalten ließ von den damals sich in den Nachkriegsjahren wie Beton verfestigenden Strukturen von Deutschland. Und dann, welches Paradox, erscheint auf diesem Fluss etwas, das sich geradezu wolllüstig und bäuchlings in dieses liquide Medium gebettet hat und auf dem Rücken, wie eine ironische Playmobil-Inszenierung, eine Häuschen mitführt, und daneben ist eine Wäscheleine mit flatternden Hemden und Hosen, und etwas Wildes jagt hin und her, ein frecher Hund. So schildert es Esther Kinsky in ihrem Roman, so kenne ich es auch. Aber ich habe erst jetzt, durch Esther Kinsky, verstanden, dass das, was wir als Kinder so fasziniert mit den Augen verfolgten, eine Zwittererscheinung war, sie hatte einerseits einen Hauch von etwas Sesshaftem, aber war doch gut unterwegs war, auf diesem Fluss.

Esther Kinsky wurde zu einer Autorin, die ebenfalls gut unterwegs ist, wenn sie auch zwischendurch ein bisschen sesshaft war, lange Jahre in London gelebt hat, dann auch Abstecher nach Kanada oder Indien machte oder nach Polen, auf die Krim, sich im Banat niedergelassen hat und auch von dort wieder fort ist. Es ist geradezu folgerichtig, dass diese Autorin den Roman Am Fluss geschrieben hat, der in England spielt, an den Ufern des Old River Lea, der nördlich von London entspringt, um dann in Richtung Südosten zu mäandern, um jenseits der Stadt, wo nach den alten, verrottenden Industriegebieten die Brachland beginnt, in die Themse zu münden.

An dieser Abbruchkante zwischen London und Umgebung, in einem Gebiet, wo Fluss und Land ineinanderkommen, lässt sich die Erzählerin nieder, eine Frau, von der wir nicht die Gestalt noch das Alter noch den Namen, also so gut wir gar nichts kennen. Nur wenige dünne Erzählfäden sind gespannt, die sie in einer angedeuteten Biographie oder der im Hintergrund aufgezogenen Geschichte verankern. Diese Frau verweilt für einige Monate, vom Herbst des einen bis zum Frühjahr des anderen Jahres, in einer leeren Wohnung, zwischen unausgepackten Kisten, befindet sich sozusagen im Transit. Sie benennt diesen Ort, an dem sie verweilt, "ein Zwischen, in dem ich das Zubehör meines Lebens abgestellt hatte". Dieses Zwischen ist eine räumliche Zwischenzone, in der sich die Frau wie der Roman einnistet, sozusagen in einer Falte des Lebens, und bedeutet gleichzeitig auch ein zeitliches Dazwischen, die beschriebenen Tage und Wochen liegen zwischen einem Davor, von dem man fast nichts erfährt, und einen Danach, das auch nur angedeutet wird – die Möbelwagen werden erwartet, tatsächlich ist es so, als ob die ganze Szenerie, in der das Ich lebt, zusammenpackt und auf Reisen geht, wie eine fahrende Theatertruppe es täte, bevor sie verschwindet. Die Erzählerin und der Roman begegnet uns in einer Art von Fermate des Lebensflusses, in der die Zeit wie angehalten wirkt, aber, wie es für Fermaten typisch ist, dort geradezu aufblüht mit Geräuschen, merkwürdigen Gestalten, seltsamen Begegnungen, denen wir im Fluss des erzählenden Bewusstseins angesichts werden.

Wie kann es in einem Roman, der so eine Stille ausströmt, so viel passieren. So wie der River Lea durch die englische Landschaft wandert, so wandern die Ich­Erzählerin des Romans und wir mit ihr durch verschiedene Uferzonen des River Lea, seiner Mündung entgegen. Gleichzeitig münden in diesen Erzählstrom aber auch andere Flüsse, oder die Erinnerungen an andere Ufer, an die des Ganges, des Po, oder des St. Lorenz Strom. Seltsame Figuren poppen im Strom des Bewusstseins auf, wie herangespült durch andere Zeitläufte – in einem verwilderten Park hat ein alter Herr im zerfetzten Prachtgewand seinen Auftritt, ein King Lear der Vororte, verloren wie der große Vorgänger auf seiner Heide. Männer mit langen Schläfenlocken flattern vorbei und erinnern an den ewig umherziehenden, heimatlosen Juden Ahasver, als dessen weibliche Inkarnation auch das Ich des Romans erscheinen mag. Vögelscharen jagen heran und vorbei. Man sieht ein Geschwader von Frauen in indischen Gewändern, die spitzes Lachen ausstoßend, irgendwohin verschwinden, man beobachtet, als wären man zur Gast in einer Commedia dell' Arte, Gaukler, die ihre Tricks vorführen, wir sehen einen wilden Markt im Halbrund einer der legendären eleganten historischen Häuserzeilen Englands.

In dieser kleinen Fermate im Fluss des Lebens treten auf: Raben, Krähen, Kühe, Füchse. Auf einer Bank sitzen zwei alte Herren und dünsten aus – Alkohol und Billig-Fett-Geruch. Man trifft auf einen Krückenmann, einen Ziegelsteinsammler, eine Handleserin. Diese Fülle der Geräusche! Züge stöhnen, oder seufzen, je nachdem, ob sie ankommen oder abfahren. Der Wind heult durch die Wände, Haut bewegt sich schmatzend aufeinander, Lachen perforiert die Luft. Es ist, bei aller Ruhe, die dieser Roman ausströmt, ein pralles Leben, das da von der Erzählerin erlebt wird, während sie durch die Kulisse ihres Zwischenlebens streift, die empfundene Ruhe ergibt sich aus ihrer gemächlichen mäandernden Bewegung sowie aus der milden Distanz, mit der sie auf alles schaut, ohne Teil zu sein. Es wird übrigens auch böse Tagesaktualität sichtbar, man hört Detonationen von Bomben, wie es im England der siebziger Jahre passieren konnte. Das Strandgut unserer Kriege spült an, in einem Laden verhökert ein Kroate Second-Hand-Schrott für Kriegsopfer, zu ihm kehrt die Erzählerin immer wieder zurück. Nicht, dass so Nähe entstünde. "Wir tragen unser Herz umher am falschen Ort", heißt es einmal.

Der ästhetische Fundus der Autorin Esther Kinsky ist groß. Das betrifft die Struktur des Buches, die in der Tradition einer Virginia Woolf oder eines James Joyce steht, einzelne Szenen erinnern an die traurige Drastik eines Jahrmarktes oder einer Zirkus Truppe auf einem Max-Beckmann-Gemälde. Und natürlich die Sprache, die vielfältig modelliert und präzise wählend aus einem unermesslichen Wortschatz schöpft und einen weiten kulturellen und historischen Horizont sichtbar macht. Esther Kinsky ist vielen als Lyrikerin bekannt sowie als Übersetzerin von Joana Bator und Olga Tokarzuk, als kongeniale Vermittlerin polnischer, russischer und englischer Literatur, für diese Arbeiten wurde sie übrigens im Jahr 2009 mit dem Paul-Celan­Preis ausgezeichnet. Mir scheint, dass wir gerade Übersetzern solch überragende Wortgebilde verdanken, vielleicht weil kaum einer wie sie so in der Sorgfalt geübt ist, für etwas, das zu sagen ist, exakt das richtige Wort, den guten Satz zu finden. Im Vorgang des Übersetzens, schreibt Kinsky in ihrem kleinen Band Fremdsprechen (Gedanken zum Übersetzen) gehe es darum, den Raum zwischen den Sprachen aufzuspüren, in zum Erblühen zu bringen: einen Ausdruck zu finden für die Räume, die sich hinter und zwischen den Wörtern auftun, diesen doppelten Boden der Sprache, der sich durch Klang, Rythmus, Melodie öffnet. In ihrem Roman tut sie etwas sehr ähnliches – während sie ihre Erzählerin in den Ödnissen um den River Lea herumgeistern lässt, durch verrottende Trailerparks und abrissreife Häuserzeilen – bringt sie dort, in diesem leeren Orten, etwas zum Erblühen, eröffnet, mit ihrer Sprache über dieser Ödnis, etwas wundersam Schönes, Neues. Es erscheint fast wie ein Wunder. In der Herstellung dieser Art von Wundern ist Esther Kinsky eine Meisterin. Auch in ihrem Gedichtband Naturschutzgebiet, ein handtellergroßes Heftchen, ereignet sich dieses Wunder im Kleinen – dort geht es um eine einerseits geschützte, andererseits der Abholzung freigegebenen Waldzone. Die Gedichte nisten sich in dieser kleinen zeitlichen Verzögerung ein und werden unterstützt von Bildern, die verdoppelnd beschreiben, was gerade noch lebt, vielleicht aber bald nicht mehr.

Esther Kinsky, die auch Autorin einer ganze Reihe von Kinderbücher ist, hat zu Anfang des letzten Jahres als Herausgeberin eines kleinen Sachbuches gewirkt, in dem sie eine Auswahl aus Henry D. Thoreaus Schriften Wild Fruits präsentiert, ein fast vergessenes Werk des legendären Naturphilosophen, der 1845 sein Eremitenleben am See von Walden in Massachusetts in einem Tagebuch festhielt und damit bis heute unsere Vorstellung prägte, was Natur ist oder Leben in der Natur, Thoureas hat uns eine Aussteigervision mit Suchtpotenzial geschaffen, die offenbar auch auf die Autorin Esther Kinsky gewirkt hat, sagen wir, in ihr hätte Thoreau eine Seelenverwandte gefunden. Da ist eine Naturnähe, fast ein Verlangen nach Natur, aber ohne den süßen Schmelz der Romantik. Ein Wordsworth schrieb dann eben doch im idyllischen Lake District, und nicht in dem rauchgeschwängerten, dunklen Straßen Londons.

Mit einem anderen Seelenverwandten, ihrem Mann Martin Chalmers, Autor und englischer Übersetzer der Tagebücher von Viktor Klemperer, von Elfriede Jelinek und Herta Müller, ist Esther Kinsky 2013, es war das Jahr vor seinem Tod, zur Krim gereist, und hat mit Martin Chalmers zusammen Aufzeichnungen von dieser Reise verfasst, die vor wenigen Tagen unter dem Titel Karadag Oktober 13 im Berliner Verlag Matthes & Seitz erschienen sind, wo die Nomadin Kinsky dann doch, sagen wir, eine Hafen gefunden hat. In diesem Band ist die Perspektive auf die Natur dieser seltsamen Spezies Mensch gerichtet, man begegnet etwa ruppigen Wesen in billigen Trainingsanzügen.

Im Roman Am Fluss konvergieren die beiden Ansätze – die Exploration von Natur, und die des Menschen. Das ästhetische Verfahren ist, im Roman Am Fluss, wie im verehrten Thoreau, wie auf der Reise mit Martin Chalmers, immer der Blick. Die Erzählerin durchstreift die Wüstenei, aber sie sieht doch auch die merkwürdigsten Gräser, ihr Blick registriert, wie eine rote Hagebutte im Dämmern des Abends schwarz wird, sie entdeckt die schönen Blüten des Schöllkrauts. Sie beobachtet, wie die Machtgestik der Metropole, das wirtschaftliche Getriebe diese Stadt und die Menschen erschöpft hat. Es heißt: "Ich wurde im Spazieren heimisch und stieß mit immer größerer Hingabe den Blick in die kleinen Dinge, die unbeobachtet am Wegrand lagen, Verlassenes und Ungeborgenes, Verlorenes und Verworfenes." Da ist keine Auflehnung, eher geduldige Bestandsaufnahme. In Moll.

"Ich hörte die Brachvögel, Dommeln und Kiebitze, Schwermutslaute aus untraurigen Kehlen, ich sah meine Großmutter wieder am Fenster stehen und diese Vogelrufe ausstoßen, sich einbildend, die Vögel wären zu täuschen, sie könnte es mittels ihrer Herzenstraurigkeit den Lauten an sich ganz gleichmütigen Vogelkehlen gleichtun ... So geht jedem die Natur ans Leben – mit ihrem ungerührten Herzschlag, der an die herzbenannte Unruh aller Trauer rührt."

Man fühlt sich geneigt, an diesem Ort am Fluss, der so zwischen allem liegt – zwischen dem Land und dem Wasser, dem Erinnertem und Erhofftem, dem Vergangenem und der Zukunft, an dieser Abbruchkante des Lebens, am Ufer des kleinen Flusses Lea an jenen großen, breiten Fluss zu denken, der in den Mythen vieler Völker die Grenze zwischen Leben und Tod markiert.

Es gehört zu den Verwunderungen, die das Werk von Esther Kinsky auslöst, dass der große Roman Am Fluss, aber auch das Werk mit den Aufzeichnungen zur Krimreise, bei aller lyrischen Gestik, die diesem Werk eigen ist, heute von einem tagespolitischen Alptraums eingeholt wird. Die Krim, der Ort, an dem Esther Kinsky und ihr Mann Martin Chalmers vor kurzem noch umherstreiften, ist mittlerweile wieder der Name einer kriegerischen Krise. Und der Roman, der doch vor Jahren geschrieben wurde, wurde unverhofft zu einem Schlüsselroman unserer Tage. Manchmal scheint es mir, dass auch ich in diesem Brachland angekommen bin. An dem großen Fluss, der die Elbe ist und an dem ich lebe, muss man in diesen Tagen nur ein wenig herumstreifen, ja es reicht schon, eine Straße in der reichen Hansestadt herunterzufahren, und der Blick öffnet sich auf ein Schlamm verkrustetes Feld, in dem weiße Zelte stehen, wie wir es von Elendsbildern aus Afrika kennen. Und in diesen Zelten liegen wohl die Menschen dicht an dicht, jeder in seiner Einsamkeit, aber mitten unter uns.

"Die meisten von uns haben zu der Gegend unserer Heimat noch ein Verhältnis wie der Seefahrer zu unentdeckten Inseln im Meer." heißt es in der Einleitung, die Esther Kinsky zu ihrer Thoreau-Ausgabe schrieb, heute bekommt das einen beinahe ironischen Sound. Unentdeckte Inseln tun sich nicht nur am River Lea auf, sondern an den Randzonen vieler europäischer Städte. Die abenteuerliche Abgerissenheit des alten Königs multipliziert sich medial in abertausendfach verbreiteten Bildern von abgerissenen Menschen, die übersetzen in eine andere Welt, wo sie unerwartet auftauchen, aber doch in Gefahr sind, unter zu gehen. Und aller Tage Abende hören wir von Toten, die am Ufer eines großen Gewässers angespült werden, das wir das Mittelmeer nennen und uns angewöhnt hatten, für eine Badezone der ersten, reichen Welt zu halten.

Wir leben in einer Zeit, in der wir uns angewohnt hatten, beim Thema Fluss an "Geldfluss" zu denken, und ich bin Esther Kinsky dankbar, dass sie uns aus diesen Denkmustern befreit hat und den Blick öffnet für das Dazwischen, das zwischen den Ufern liegt, zwischen den Kulturen, den Zeiten, den Hoffnungen und der Furcht, jenen Raum, dessen Erforschung ein Menschheitsabenteuer ist, sei es im Blick auf eine Pflanze, aber auch des großen Horizontes.

Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass zu den vielfältigen Erzählstrategien, die Ester Kinsky so souverän einsetzt, auch die Fotografie gehört. Während ihre Erzählung mit Worten eine Szenerie in großen Tableaus malt, sieht man zwischen den Kapiteln des Romans Am Fluss kleine Bilder, die ihrerseits etwas erzählen. Wie ein schorfiger Betonweg in eine abgewrackte Trailerwüste führt. Ein Metallgestell, das notgelandet ist in einer Wiese mit hohem toten Gras. Auch zwischen diesen Bildern und den Kapiteln, die sie einleiten, entsteht ein neuer, noch zu entdeckender Raum, der Leser provoziert, eigene Gedanken zu entwickeln – Fragen, oder Antworten.

Das vielleicht schönste Bild findet sich am Anfang des Buches. Es weist Spuren von bräunlicher Patina auf und zeigt ein Mädchen, das vor einem Zaun steht, in einem etwas altmodisch gerüschten Kleid, in der Hand hält es einen länglichen Gegenstand. Das Bild sieht aus, als könnte es aus einem vorbeischiessenden Zug geschossen sein, Bäume und Blätter am Rand des Bildes sind verwischt. Sie wirken, als würden sie auseinander stieben oder, andersherum betrachtet, als verdichte sich die Welt gerade in einer momenthaften, atemberaubenden, jagenden Fokussierung auf ein Zentrum hin, auf dieses Kind. Das Bild trägt die Unterschrift: "dem blinden Kinde". Man weiß nicht, wurde es allein zurückgelassenen oder fliegt ihm gerade alles zu, ist es ein Moment der Verlorenheit oder ein Alles Verstehen, der sichtbar wird. Das Bild zeigt etwas, das sich in dem Roman Am Fluss einerseits entfaltet, andererseits verdichtet, man mag von Epiphanie sprechen, Virginia Woolf hätte es "Moment of Being" genannt.

In einem ihrer Gedichte im Band Naturschutzgebiet formuliert Esther Kinsky so:

"Ab und zu pfeift es
zwischen die vögel die schwärme
trillernd zwitschernd und wenn überhaupt pfeifend dann nur
mit bebender kehlhaut
vöglein vöglein so
sing

Zwischenstoß kleine
fanfare der abgelaufenen
zeit schon wieder schon
wieder vorüber schon
vorbei"

Liebe Esther Kinsky, ich freue mich, dass Ihr wundervolles Buch Am Fluss und ihr schönes Werk so angemessen wahrgenommen wird und gratuliere herzlich zum Kranichsteiner Literaturpreis!


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